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3 Oktober 2017

Die alte Mühle von Stremiz

3 Oktober 2017
Andrea Maroè

Die alte Mühle von Stremiz

Wieder einmal lässt die Ankunft in Stremiz, entlang der Straße, die von Faedis hinaufführt, mein Herz schneller schlagen. Das alte, nach dem Erdbeben wieder aufgebaute, vom Wald umgebene und beinahe von ihm verschluckte Dorf empfängt mich in der Stille und lässt mich in eine jahrhundertealte Welt eintreten. Es versetzt mich in meine Kindeszeit zurück, als ich meinem Großvater entgegen ging, der im alten Steinhaus im Wald über Magnano in Riviera lebte. Das Haus gibt es nicht mehr. Diese hier hingegen sind noch da. Und ich atme die gleiche Luft.

Roberto kommt mir mit seiner üblichen Freundlichkeit entgegen. Er hat mich gerufen, damit ich seinen Schülern „das Holz erzähle“. „Der Unterricht findet im Wald statt, wir sind dabei, die alte Mühle wieder aufzubauen.“ Roberto ist ein berühmter und sehr guter Architekt. Beim Betrachten seiner schwieligen Hände, der schmutzigen Hosen, des schlammbedeckten und mit allem möglichem Werkzeug gefüllten Autos denke ich, dass alle Architekten so sein sollten. Sie sollten bauen können. Mit ihren eigenen Händen. Um genau zu sein „baut er wieder auf“. Wie früher. Er ist dabei, die herrliche Burg Cucagna mit den schon im Mittelalter verwendeten Techniken zu sanieren. Und er lehrt diese auch. Er bringt Jugendlichen aus der ganzen Welt bei, wie man eine jahrhundertealte Mühle restauriert, wie man Kalkfarbe anrührt, wie man „Schiffszimmermann“ wird, wie man einen Baumstamm abkantet. Und mich hat er gerufen, um diesen Jugendlichen aus ganz Europa zu erklären, welches Holz das beste ist, wann und wie man es am besten verwendet.

Mit dem Auto fahren wir eine unbefestigte Straße entlang. „Da sind wir, das ist die alte Mühle. Wir machen gerade die Treppen und die Brücke neu.“ Unter mir, am Ufer des Wildbachs Grivò, auf einem kleinen Plateau, steht eine alte, perfekt restaurierte Mühle. Die alten Steinwände sind kalkgetüncht, das Dach ist mit Steinplatten gedeckt. Der mit Kastanien- und Akazienpfosten befestigte Weg erleichtert das Gehen. Ich nähere mich und staune. Ich schaue die Brücke aus entrindeten Akazienpfosten an. „Siehst du, jetzt müssen wir sie an den Trägern befestigen. Wir machen gerade die Nägel.“ Roberto sagt das mit einem Tonfall, als ob es das Natürlichste der Welt wäre. „Wie! Ihr macht die Nägel selbst?“„Natürlich, früher waren die Nägel aus Holz und so bringe ich den jungen Leuten bei, wie man sie macht. Und dann befestigen wir mit diesen Nägeln die Pfosten an den Trägern und voilà.“

Holznägel im Jahr 2017, das mutet unglaublich an, beinahe wie ein Traum. Aber im Laufe der Jahre habe ich Roberto viele unglaubliche Dinge realisieren sehen. Ich halte meinen Unterricht über Holzfasern und Bäume, wie man sie fällt und wie man sie am besten verwendet unter den grünen Zweigen, im Freien. Die Jugendlichen hören aufmerksam zu und in der Pause werden wir schon Freunde und ich fordere sie zu einem Wettlauf auf den Stämmen heraus. Natürlich gewinnen sie! Aber die Überraschungen enden nicht hier. „Komm mit zum Wildbach. Um in Dürreperioden zu vermeiden, kein Wasser zu haben, hatten sie kleine Bassins gegraben und Holzschleusen gebaut.“ Roberto zeigt mir die Löcher der alten Pfosten, die behauenen Felswände, die klaren Kaltwasserspiegel, die das schattenspendende Laubwerk widerspiegeln. Ich denke an die Anstrengungen und die Leidenschaft dieser antiken Menschen. An ihre Arbeit. An die Arbeit dieses großartigen Architekten. An seine Leidenschaft. An seine Mühen. An sein Vertrauen in die Jugend und in die Zukunft. An seine Hartnäckigkeit, mit der er die Geschichte und alte Handwerksberufe überliefern will. An die Magie dieses verzauberten Tals. An seine Elfen und Feen. Unter der Steinbrücke erzählt das Plätschern des Wassers antike Geschichten, Märchen und Legenden.

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Andrea Maroè

Ich suche die ältesten, größten, erhabensten und geheimnisvollsten Bäume unseres Planeten, besteige sie, vermesse sie und verteidige sie. Ich liebe es, unsere Wälder und unsere herrliche Natur auszuleben.

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