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18 Januar 2018

Sauris: Schnee, alte Fichten und erhabene Lärchen

18 Januar 2018
Andrea Maroè

Sauris: Schnee, alte Fichten und erhabene Lärchen

„Für morgen wird ein Meter Schnee erwartet“, erklärt Augusto mit einem vergnügten Lächeln, „Ich glaube es nicht einmal, wenn ich es sehe, aber es würde mich sehr freuen.“ Die Nacht hier in Sauris zeigt keine Sterne, es ist also unmöglich zu verstehen, was uns der Morgen reservieren wird. Im warmen Zimmer des gemütlichen Chalets ist mir sogar zu heiß. Um vier Uhr früh überkommt mich die Versuchung, die Tür, die auf die Terrasse geht, aufzumachen und die kühle Gebirgsluft hereinzulassen. Dann schlafe ich wieder ein und träume von eine weißen Schneedecke, in der ich versinke.

Es fällt dichter, trockener Schnee.

Nach einem ausgezeichneten Frühstück mit Rührei, Speck, Jogurt, Getreide und sogar ein Glas Sekt, um das sich still durch die Schneeflocken ankündigende neue Jahr zu feiern, gehe ich aus dem Haus.

Es ist sicher kein Meter Schnee, aber die weiße Schicht bedeckt alles, jede Nadel der Kiefer, die Zapfen der alten Lärche. In der Schneeschicht versinken die Hausmauern, sie bedeckt die Dächer und umarmt Türen, Terrassen und Laufgänge. Der Schnee fällt dicht und lässt keine Fernsicht zu. Er färbt den Himmel grau und beleuchtet die Füße weiß.

Mit einem spitzbübischen Lächeln im Gesicht sage ich mir beim Anziehen der Schneeschuhe und Festbinden meines Snowboards am Rucksack: „Es bleibt mir ja nichts anderes übrig.“

Ich beginne aufzusteigen und beim Einsinken kommt es mir so vor, als würde ich die weiße neue Haut der Wiese verletzen. In der Stille liegt der Geruch des Schnees, der auf meinem Gesicht schmilzt.

Aber Schritt um Schritt höre ich eine Art Leier, die von unten, meine Beine umhüllt und aufsteigt.

Ich steige bis zum Anfang der alten, mittlerweile seit Jahren nicht mehr genutzten Skipiste auf. Durch die Flocken ist der Skilift gar nicht zu sehen, aber gleich über den ersten Häusern des Dorfs spielen zahlreiche Kinder mit Schlitten unter den unbeschwerten Blicken ihrer Eltern.

Die Piste ist kaum erkennbar. Nachdem sie nicht mehr präpariert wird, haben sich ihre Grenzen erweitert und jetzt umfasst sie alle umliegenden Wiesen und reicht bis unter die hohen Tannen. Ich schnalle das Snowboard an und fahre lautlos auf dem noch unberührten, ersten Schnee des Jahres ab. Ich breite die Arme aus. Der Schnee ermöglicht nur eine sehr schlechte Sicht und auf Schneehaufen werden die Knie vor den Augen aufmerksam.

Lasse dich gehen, ohne zu denken. Lasse dich vom fallenden Schnee tragen, der das Gesicht streichelt und die Füße neigt. Lasse dich von seinem sanften Gewicht bis in die Talsohle tragen. Die Leier summt mir weiter zu.

Aber die starken Tannen versperren mir nun den Weg. Ich muss das Snowboard abschnallen und mit den Schneeschuhen, die ich im Rucksack habe, wieder aufsteigen. Die alte Piste ist nicht lang, sie weiß es, aber auch sie möchte einen Teil zum heutigen Tag beitragen.

Ich steige dort gerade auf, wo es am steilsten ist, fast so, als würde ich sie herausfordern wollen. Sie lacht, es schneit.

Ich bin wieder oben, höre das Schreien der Kinder und sehe durch den fallenden Schnee das Dorf. Ich fahre wieder ab, dieses Mal schneller, überzeugter, ich biege links ab und tauche in den Wald ein, dann lande ich nach einem kleinen Sprung auf dem Plateau, umgeben von stummen Stämmen.

Wieder höre ich die Leier, die in der starren Stille aufsteigt, ich schaue mich um. Nur alte Tannen und erhabene Lärchen wagen es, den Schnee herauszufordern. Ich komme mir klein vor und beginne erneut den Aufstieg. Verschwitzt und mit nassem Schnee bedeckt. Noch eine Abfahrt, noch ein Aufstieg. Wie in früheren Zeiten, jeder Meter Abfahrt ist verdient. Und ich verleihe einer alten, wartenden Piste Würde.

Beim vierten Aufstieg wird das Atmen immer anstrengender und beim neuerlichen Anschnallen des Snowboards ist die Leier stärker zu hören.

Der Schneefall wird immer stärker, rundum ist beinahe nichts mehr zu sehen. Die Spuren verschwinden zwischen einem Aufstieg und dem nächsten und es ist kein Horizont oder Himmel zu sehen.

Ich fahre zum letzten Mal ab. Ich spitze mein Ohr. Die Leier folgt mir zwischen den weißen Flocken und den Zweigen, denen ich ausweiche. Bis ich wieder unten am Plateau ankomme, umgeben von Tannen.

Ich setze mich müde in den Schnee und endlich höre ich zu.

Jetzt weißt du, wer ich bin, jetzt weißt du warum, wie groß meine Umarmung ist, wie stark mein Stolz der Erde, furchtlos und zärtlich. Lange habe ich auf den Schnee gewartet, lange habe ich auf Kinderspiele und wagemutige Skifahrer gewartet. Lange habe ich gewartet. Heute endlich kann ich singen, weil ich erhört wurde. Ich habe meine weiße Decke ausgebreitet, damit Groß und Klein spielen und ihren Spaß haben können, um ihre Probleme in meinem feuchten Schlaf verschwinden zu lassen, um eine reg- und schmerzlose Zeit heraufzubeschwören. Ich bin eine alte verlassene Skipiste im Gebirge. Ich bin die Erinnerung eines Dorfs mit starken und mutigen Männern. Ich bin das Wahrzeichen eines Landes, das wartet. Und das Verwunderung ohne Gegenleistung schenkt.

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Andrea Maroè

Ich suche die ältesten, größten, erhabensten und geheimnisvollsten Bäume unseres Planeten, besteige sie, vermesse sie und verteidige sie. Ich liebe es, unsere Wälder und unsere herrliche Natur auszuleben.

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