
Ich stehe spät auf. Der Tag ist nicht gerade der beste. Auch die Sonne hat trotz des Frühlings beschlossen, nicht zu scheinen. Vielleicht tut mir ein Spaziergang gut, um die schlechten Gedanken zu vertreiben und Energie zu laden. Ich weiß nicht warum, aber mir fällt die alte römische Brücke über den Fluss Vedronzassa ein. Vor vielen Jahren war ich einmal bei einem Ausritt mit meinem Sohn dort. Dieses Mal könnte ich in Gesellschaft meiner Hunde zu Fuß gehen. Ich öffne den Kleintransporter. Die alte Jena, Thor, Wolf und Thea können es kaum erwarten. Es ist schon lange her seit wir das letzte Mal im Wald spazieren gingen.
Während ich von Tarcento bis Vedronza das Val Torre hinauffahre, mache ich mir meine Gedanken darüber, wie unüblich diese römische Brücke an einem so abgelegenen Ort ist. Wer weiß, vielleicht wurde sie gar nicht von den Römern gebaut. Aber ein Freund von mir, ein in lokaler Geschichte spezialisierter Historiker, hatte mir vor einigen Jahren erzählt, dass eben diese Straße von den Römern genutzt wurde, um ausgehend von Aquileia in weniger als drei Tagen in Österreich zu sein. Er hatte mich sogar gebeten, ihm auf der Grundlage einer alten römischen Straßenkarte, die auch das friulanische Gebiet umfasste, nämlich der Tabula Peutingeriana, bei der Suche nach mittlerweile verloren gegangenen Pfaden behilflich zu sein.
Ich hatte ihm damals keine allzu große Aufmerksamkeit beigemessen, aber heute ist es mir wieder eingefallen. Und auch wie wir im August als Jungen mit dem Fahrrad nach Vedronza fuhren, um in die eiskalten Wasserlöcher des Vedronzassas zu springen. Ich erinnere mich noch gut an das glasklare und kalte Wasser, die Schreie und den Spaß, den wir an diesen Orten hatten. Ich komme zur zweiten Furt. Öffne die Tür des Transporters und lasse die Hunde heraus. Sobald sie das Wasserloch sehen, stürzen sie sich wie verrückt hinein. Und inzwischen ruft uns der Wald mit seiner Stille.
Wir beginnen durch noch kahle, aber von blauen Krokussen im gelben Gras übersäte Wälder zu wandern. Hie und da sprießen Erikas zwischen den Steinen hervor. Der Fluss gurgelt im Hintergrund. Die Hunde schnuppern überall neugierig herum. Wir überqueren die letzte asphaltierte Furt und nach wenigen Metern geht die Straße bei einem Steinhaus in einen Weg über. Ein Schild erinnert daran, dass wir uns auf dem Rundweg der Alta Val del Torre befinden. Ich liebe es, mich im Wald zu verlieren. Mit den Hunden klettere ich auf einen Grat, kreuze einen neuen sehr viel breiteren und gepflegten Weg. Der Fluss bleibt viel weiter unten. Ich folge ihm. Und jetzt sehe ich in der Ferne die Brücke.
Mitten im Gebirge, zwischen der Kette des Chiampon und dem Monte Stella befindet sich eine Steinbrücke. Es scheint mir, auf den Jakobsweg zurückgekehrt zu sein, wo man mitten im Wald und fernab von Wohnsiedlungen auf außerordentliche Artefakte trifft. Wer weiß, wie viel Geschichte hier vorbeigezogen ist. Eine Brücke, die den Borgo Pers (der Name, verlorenes Dorf, ist vielsagend) mit der Taufkirche Pieve di Stella und dann bis hinunter nach Tarcento verband. Der glasklare Fluss plätschert vor sich hin, während ich mit meinen Hunden die alte Brücke überquere. Ich betrachte die Berge und den Wald rundum. Außer uns ist keine lebende Seele zu sehen.
Von der Römerbrücke schlage ich den Waldweg ein, der steil zum Dorf Pers führt und an den Kehren moosüberzogene Pflastersteine aufweist. Die Hunde laufen vor mir her, nur die alte Jena ist nicht in Form und trottet meinen Schritten nach. Auch ich bin nicht sehr fit und das Aufwärtsgehen fällt mir schwer.
Als ich merke, dass wir bald aus dem Wald auf ein kleines Plateau treten werden, wo die Überreste des Dorfes Pers stehen, rufe ich die Hunde. Sie folgen sofort und gehen in einer Reihe hinter mir. Die vier unbewohnten Häuser empfangen uns in der Sonne. Es steht zwar ein Auto da, aber niemand ist zu sehen. Borgo Pers ist jetzt wirklich ein unter Wäldern und für Menschen verlorenes Dorf.
Ich schlage dort, wo einst die Terrassen bebaut waren und die Steinmauern heute noch dem Verstreichen der Zeit standhalten, einen neuen Weg ein, der hinunter zum Fluss führt. Das Gras steht hoch und die Dornen tragen dazu bei, Spuren schnell zu verwischen, aber das Bellen von Thea weiter unten, teilt uns mit, dass sie etwas, oder besser, jemanden gefunden hat.
Ich beginne, zwischen Ästen, Baumstämmen und Steinen nach unten zu laufen. Die anderen drei Hunde springen hinter, neben und vor mir her. Wir finden etwas weiter unten den Weg, ich rufe Thea, die weiter bellt. Als ich stehen bleibe, um mich nach ihr umzusehen, merke ich, dass das was ich Weg genannt habe, nichts weiter ist, als ein Trampelpfad von Wildtieren oder ein Weg von Jägern, die diese Orte gut kennen. Jemand beobachtet uns aus der Ferne während Thea zu uns zurückkommt. Wir spüren den Blick auf uns, die Hunde zuerst und ich dann, während wir zum im Tal rauschenden Fluss den Wald hinunterlaufen.
Ich laufe hinter den Hunden her und schon bald sind wir wieder am Ufer des Vedronzassa, der glasklar und heiter vor sich hin plätschert. Und es ist seine Heiterkeit, die nach dem Laufen durch die Wälder wieder meinen Geist stärkt. Die Hunde nehmen wieder jemanden wahr, der uns vom Wald aus beobachtet und etwas weiter talwärts finde ich frische Spuren eines großen Hirsches in der Nähe eines Wasserbeckens, wo er vermutlich seinen Durst stillt.
Ich schaue zwischen die Bäume, sehe aber nichts. Angesichts der Uhrzeit ist es nicht einfach, wilde Tiere zu sehen. Ich beschließe, den Fluss hinabzugehen und dabei von einem Stein auf den anderen zu springen. Die Hunde freuen sich und gehen in das noch eiskalte Wasser. Der Wald erwacht langsam und still. Krokusse, Primeln, pralle und beinahe feuchte Knospen auf den Bäumen. Moosduft zwischen dem ungeduldigen Wasser.
Ich fühle mich wieder Kind, als wir im Wald Ritter und Drachen spielten, mit enormen Monstern kämpften oder uns versteckten. Ich schaue mich um und denke: „Ja, genau hier müsste man auch heute leben können.“
Aber ich kehre zu meinem Transporter zurück, lasse die Hunde einsteigen und verlasse das verzauberte Tal.
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