Der Wanderweg Corbellini, in der Schwebe in den Dolomiten des Val Pesarina
Es gab eine Zeit, in der man in Karnien riesige Bauten für Verbindungswege und Straßennetze verwirklichte. Sie werden sofort an den ersten Weltkrieg denken, als ganze Bataillons von Ingenieuren auf dem Grenzkamm des Friauls jene Bauten erschufen, die noch heute unverzichtbare Strecken für Trekking-Begeisterte darstellen.
Heute erforsche ich dagegen jenen Weg, der ohne jegliche kriegerischen Ziele von den Menschen des Val Pesarina geschaffen wurde. Angeführt wurden sie von einem Herrn, der das utopische Ziel verfolgte, die Mulde von Bladen mit der Hütte De Gasperi zu verbinden. Regolo Corbellini. Als Erdenker und Leiter dieses Unterfangens hat er es tatsächlich geschafft, die Kräfte der Talgemeinschaft zu vereinen und zu konzentrieren, um das zu verwirklichen, was sich heute als eine in ihrer Art im gesamten Alpenraum einzigartige Strecke erweist.
Eine Länge von ca. 4000 Metern, davon 1200 unter Einsatz von Minen in den Felsen gesprengt, Hunderte von Metern mit Sicherungsseilen, eine Überquerung, die sich auf 1700 Metern ü.d.M. befindet - dies sind die Zahlen, die diesem in den 30er Jahren realisierten riesigen Projekt zugrunde liegen.
Ich bin allein, es wird langsam Abend. Die tiefstehende Sonne vergoldet die Wände, die mich umgeben und überragen. Ich habe den idyllischen Siera-Pass hinter mir gelassen und begebe mich in Richtung der Hütte De Gasperi, wo man mich für die Nacht erwartet. Die Stille wird nur durch das Zirpen der Grillen unterbrochen, die zu Tausenden das Lied des Sonnenuntergangs singen.
Auf der Strecke wechseln sich mit Sicherungsseilen ausgestattete Abschnitte mit Wiesen auf dem Bergrücken ab. Ich habe wohl noch nie so grünes Gras mit so langen und gleichmäßigen Halmen gesehen. Auf dieser Überquerung in der Höhe komme ich mir wie ein Floh vor, der sich auf der Kruppe eines unendlich großen grünen Tieres bewegt. Die Kraft der Natur übermannt dich und du wirst ein Teil davon. In der Ferne donnert ein Gewitter. Der Pfad ist mein Ariadnefaden, er führt mich in das Labyrinth dieser jungen und brüchigen Hänge.
Schnell bewege ich mich zwischen kleinen Treppen und Handläufen entlang den Wänden entrissenen Abschnitten, nur einen Schritt von der Schwerkraft getrennt, die die Geröllbrocken verschluckt. Diese Strecke beschert einem das Glück, dort durchzukommen, wo ohne die Utopie von Corbellini die wildeste Natur der Dolomiten des Pesarina-Tals herrschen würde. Freistehende Berge von sehnsuchtsvoller Schönheit. Die Übergänge folgen zwischen Kanälen, die bis in die Eingeweide des Bergs vordringen, Wasser, das zum Tal sprudelt, hängenden Wäldern, in denen ich auf wildlebende Tiere treffe, aufeinander und sind alles andere als zufällig.
Das Gewitter rückt näher, doch nach einem letzten Aufstieg, überschreite ich die Schwelle des Gebäudes, das in seinem Namen seine wichtigste Mission einschließt: die Hütte De Gasperi. Drinnen empfangen den Wanderer Gastfreundschaft und menschliche Wärme und bieten demjenigen Trost, der müde das Glück hat, von diesem Panoramabalkon aus einen Sonnenuntergang zu genießen, der in seinen Erinnerungen unauslöschlich bleiben wird. Technische Informationen: der gesicherte Weg Corbellini (CAI 316) verbindet die Hütte De Gasperi mit dem Siera-Pass. Vom Italienischen Alpenverein CAI wird er als Weg für erfahrene Wanderer eingestuft: die Verwendung von Klettersteigausrüstung und Helm ist empfehlenswert. Die Wegrichtung ist nicht von Bedeutung. Der Siera-Pass kann vom Val Pesarina über die Dienststraße der Malga Siera (für den Fahrzeugverkehr geschlossene Straße) in einer ca. zweistündigen Wanderung oder von Sappada in ca. eineinhalb Stunden erreicht werden.
Die Hütte De Gasperi erreicht man von der Ortschaft Pian di Casa aus über den Wanderweg CAI 201 in ca. eineinhalb Stunden.